Veranstaltung des Stadtverbands: Brennglas Corona: Kultur ist systemrelevant

  • Veröffentlicht am: 22. Januar 2021 - 12:07

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Brennglas Corona: Kultur ist systemrelevant
Grafik: GRÜNE

Mehr als 50 Menschen aus Politik und Kultur sind der Einladung von Julia Willie Hamburg MdL, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, und dem grünen Stadtverband Hannover gefolgt, um über die Systemrelevanz der Kultur zu reden. Fast zwei Stunden dauerte die Veranstaltung, die einen weiten Bogen von der aktuellen Lage der Kulturinstitution und Soloselbständigen in der Corona-Krise bis hin zur Zukunft der Kultur geschlagen hat.

In ihrem Grußwort hat die Vorsitzende des Stadtverbands, Greta Garlichs, bereits klar gestellt: „Kultur ist der Nährboden der Gesellschaft; das Rückgrat der Gesellschaft und Demokratie“. Jedoch musste sie ein Wertschätzungsproblem der Kultur feststellen, dass sich in der Corona-Krise besonders deutlich zeigt, in der die Künstler*innen im Regen stehen gelassen wurden. Sie schloss ihr Grußwort mit ihren persönlichen kulturellen Erlebnissen in Hannover und machte nochmal deutlich, dass Kultur – grade auch in Hannover – den Raum für unterschiedliche Menschen geben muss.

In seinem kurzen Input hat Prof. Dr. Wolfgang Schneider von der Universität Hildesheim nochmal herausgearbeitet, welche Probleme im Umgang mit der Kultur durch das „Brennglas Corona“ nochmal stärker zu Tage treten. Ungeachtet dessen, das kulturelle Vielfalt und kulturelle Teilhabe in verschiedenen völkerrechtlich und national verbindlichen Grundlagen garantiert ist (Erklärung der allgemeinen Menschenrechte/Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Teilhabe, UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt, UN-Kinderrechtskonvention, niedersächsische Verfassung) wurden diese Rechte schon vorher nicht gewährleistet. Wie wenig Bedeutung diesem Recht auf kulturelle Teilhabe eingeräumt wird, wird uns durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie aktuell noch einmal deutlich vor Augen geführt.

Die stellvertretenden Geschäftsführerin der Faust, Luna Jurado, lenkte den Blick auf die fehlenden Diskurse, die mit dem Schließen der Kulturinstitutionen keinen Raum mehr haben, in dem sie stattfinden können. Dies führt aus ihrer Sicht zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Daher fordert sie, die Krisenstäbe, die über die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung um Künstler*innen, Sozialwissenschaftler*innen und Psycholog*innen zu erweitern – schließlich gibt es auch so etwas wie eine geistige Gesundheit.

Aus Sicht von Daniel Gardemin, Vorsitzender der grünen Ratsfraktion in Hannover, ist „Kultur der Kitt, der die Stadt zusammenhält“. Durch den Wegfall der kulturellen Angebote erlebt er Hannover wie „eingefroren“. Eine Stadt lebe von Veränderung, und das sei unterbrochen. Ihm fehlen Teilhabe, kulturelle Vielfalt und Kreativität.

In der weiteren Debatte, die Julia Willie Hamburg souverän moderiert hat, kommen die Expert*innen immer wieder auf die Finanzierungsfrage zurück. Die Frage nach der Existenzsicherung der Künstler*innen in der aktuellen Situation, in der ihnen quasi alle Erwerbsmöglichkeiten genommen worden sind, mache auch die fehlende Wertschätzung der Gesellschaft für Kunst- und Kulturschaffende deutlich. Ein Punkt, der auch von den Teilnehmer*innen diskutiert wurde; hier drehte sich die Debatte u.a. um ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Doch auch die Frage nach einer Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs wurde debattiert, damit die Kommunen auch weiterhin ihrer Aufgaben in der Kulturförderung gerecht werden können. Ein Punkt, der auch Luna Jurado wichtig ist. Sie fordert, die bestehende Kulturlandschaft in Hannover ungeachtet der finanziellen Situation der Kommune zu schützen.

Auch mit ihrer Forderung nach einem Kulturentwicklungsplan für alle Städte, nicht nur in Hannover, traf sie auf Zustimmung. Wolfgang Schneider ergänzte, dass es grade jetzt wichtig ist, dass die Verantwortlichen in Politik und Stadtgesellschaft drüber nachdenken, wie die Kulturpolitik und -förderung der Zukunft aussehen soll. Er regt an, diesen Prozess zukünftig weniger Top-Down sondern mehr Bottom-Up zu gestalten.

Abschließend hat Julia Willie Hamburg mit den Expert*innen einen Blick in die Zukunft geworfen, und gefragt, über welches gemeinsames Projekt die Teilnehmer*innen sich bei einem Treffen in einem Jahr austauschen werden. Wolfgang Schneider möchte gerne das Thema Nachhaltigkeit stärker in der Kulturszene verankert sehen. Luna Jurado möchte auch im kommenden Jahr die Vernetzung zwischen Kultur und Politik nicht abreißen lassen. Und Daniel Gardemin möchte bis dahin den Austausch zwischen Stadtgesellschaft und Kultur stärker vorantreiben und im nächsten Jahr eine*n Beauftragte*n für Nachtkultur in der Gruppe begrüßen.

In einem Punkt waren sich alle einig: im nächsten Jahr wollen sie sich an anderer Stelle wiedertreffen; an einem Ort, der bisher nicht als Kulturraum wahrgenommen wurde.

Das Schlusswort kam aus dem Publikum. Ein*e Teilnehmer*in hat im Chat aus dem Vorwort des Schlussberichts der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ zitiert:

„Kultur ist kein Ornament.

Sie ist das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht und auf das sie baut

Es ist Aufgabe der Politik, dieses zu sichern und zu stärken.“

von Isabel Ermer